.Rosalia de Castro
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.Aus: Christian Switek: Nation, Literatur und Weiblichkeit
- Rosalía de Castro im Spanien des 19. Jahrhunderts
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Magisterarbeit. Göttingen 1999. S. 138-155
 

Inhalt:
 
1. Nation, Literatur und Weiblichkeit in Follas novas (1880)
2. Struktur und Thematik des Textes
3. Das artikulierte Ich: Metamorphosen des Ich
4. Interdependenzen zum Diskurs der Nation
5. Interdependenzen zum Diskurs der Frauenfrage
Exkurs 1: Der Skandal um Costumbres gallegas (1881): Endgültige Abkehr vom Galegischen
Exkurs 2: Die Erfindung des Mythos Rosalía de Castro: Ein Symbol der Galicischen Nation



 

 

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1. Nation, Literatur und Weiblichkeit in Follas novas (1880)

Ob der Streit zwischen Lamas und Murguía der einzige Grund dafür ist, daß Castro zwischen Ende Juni 1878 und Ende September 1880 nicht publiziert, läßt sich nach dem derzeitigen Forschungsstand nicht klären. Vor der Veröffentlichung von Follas novas (künftig abgekürzt als FN) im Jahr 1880 wird das Erscheinen von Castros zweiter großer Gedichtsammlung auf galegisch bereits mehrmals angekündigt: zunächst 1872 in einer Anzeige der zweiten Auflage der CG, dann 1874 im Januar im El Heraldo Gallego aus Orense und im Juni im Diario de Santiago aus Santiago de Compostela sowie 1878 im El Eco de Galicia aus Havanna. Will man Murguía Glauben schenken, so entsteht der Großteil der Gedichte aus FN bereits zwischen 1870 und 1871 in Simancas.

Editiert wird das Werk im Verlagshaus Alejandro Chaos La Propaganda Literaria in Havanna, gedruckt wird es aber in Madrid. Bezüglich des genauen Zeitpunktes der Erscheinung von FN auf dem Buchmarkt schwanken die Meinungen der modernen Editoren zwischen Frühjahr/Sommer und Oktober 1880.

Murguía arbeitet seit 1878 wieder mit den Brüdern Chao zusammen, die er noch aus der Zeit bei La Oliva kennt. Obwohl Murguía (und somit Castro) schon seit 1878 die Möglichkeit hat, FN drucken zu lassen, wird es aber noch gut zwei Jahre dauern, bis dies tatsächlich geschieht. Vielfältige Gründe werden für die Verzögerungen der Publikation erwähnt. Sinnfällig ist die Bemerkung Claude H. Poullains, der sie mit ökonomischen Schwierigkeiten und familiären Problemen erklären will. Nach Rodríguez Sánchez sei als Hauptgrund für Castros Publikationsabstinenz die politische Reaktion und das Wieder-Erstarken des dogmatischen Katholizismus anzusehen. Daß diese Bemerkung die Rolle Murguías als rechtlichen Vormund in den Veröffentlichungsangelegenheiten von Castro impliziert, erkennt er nicht. Der Hinweis, daß die Konflikte Murguías mit der galicischen Presse (besonders mit Lamas Carvajal) für die Verzögerung verantwortlich seien, deutet wieder auf den entscheidenden Einfluß des Ehegatten auf die Publikationen seiner Frau hin. Castro selbst thematisiert im Prolog der FN deren verspätete Veröffentlichung: „Gardados estaban, ben podo decir que para sempre, estes versos, [...] cando, non sin verdadeira pena, vellos compromisos obrigáronme a xuntalos [...] e dalos a estampa." (S. 109). Die Gedichte in FN sind von Castro also eigentlich nicht mehr zur Veröffentlichung bestimmt gewesen.

Der Zusammenhang mit den referierten Anfeindungen aus dem Lager des Rexurdimentos um Lamas Carvajal bietet eine plausible Erklärung für Castros Entschluß. Die Wendung „vellos compromisos obrigáronme" deutet wieder auf einen Zwang zur Veröffentlichung hin, der mit Murguía in Zusammenhang gebracht werden muß, da er die Veröffentlichungen seiner Frau verwaltet. Die Auseinandersetzungen mit Murguía um ihre Publikationen, wie z.B. den CG, und um ihre Person (im Streit mit Lamas Carvajal) scheinen Castro bewogen zu haben, von weiteren größeren Veröffentlichungen auf galegisch abzusehen. Castro scheint sich mit solchen stilistischen Feinheiten wie „non sin verdadeira pena", die als Spitze gegen Murguía aufgefaßt werden könnte, gegen Manipulationen ihrer Arbeiten und ihrer Person seitens Murguía zur Wehr setzen zu wollen.

In den Veröffentlichungszeitraum der FN fällt auch die am 11. Januar vorgeschlagene und am 8. Oktober 1880 offiziell gefeierte Ernennung Castros zum Ehrenmitglied des Ende 1879 in Havanna auf Betreiben Waldo Álvarez Ínsua (Direktor der dort erschienenen Wochenzeitung El Eco de Galicia) gegründeten Centro Gallego. Mit der Veröffentlichung der FN ist sie also bei zwei galicischen Institutionen auf Kuba (seit 1872 Socia de honor der Sociedade Beneficencia dos Naturales de Galicia na Habana) Ehrenmitglied. Diese Ereignisse und die Drucklegung der FN in Havanna deuten auf ein besonders enges Verhältnis Castros zu den Galiciern auf Kuba hin. Schließlich nennt Castro in ihrer auf den 23. Februar 1880 datierten Widmung der FN als Zielgruppe ihrer Gedichtsammlung ausdrücklich die Sociedade Beneficencia dos Naturales de Galicia na Habana, also die galicischen Emigranten in Übersee.

Die überlieferten Rezeptionsstimmen legen die Vermutung nahe, daß FN um Ende August bzw. Anfang September auf dem Markt ist. Am 23. 9. 1880 erscheint Nicolás Taboada Fernándezs Rezension im Faro de Vigo, am 28. 9. 1888 die Alfredo Vicentis in La Ilustración Gallega y Asturiana, und am 24. 11. und 23. 12. 1880 erscheint ein Artikel in Fortsetzung in der Gaceta de Galicia. Die Kritik äußert sich durchweg sehr positiv über Castros zweite Buchveröffentlichung auf galegisch.

 

 

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2. Struktur und Thematik des Textes

Außer der eigentlichen Gedichtsammlung enthält FN wichtige Kon-Texte, die bei einer philologischen Lektüre nicht ausgeschlossen werden dürfen. Die schon erwähnte danksagende Widmung Castros verweist auf die bereits charakterisierte Zielgruppe des Textes. Das Vorwort zu ihrem Werk läßt sie von dem konservativen Republikaner und ehemaligen Präsidenten während der Ersten Republik Emilio Castelar (vehementer Verteidiger der Republik als einzige Staatsform, die die Demokratie sichern könne) verfassen. Nach dem politischen Prolog folgt der literarische Castros, „Dúas palabras da autora".

Die eigentliche Gedichtsammlung besteht aus 137 Kompositionen, die in fünf römisch numerierte Abteilungen sehr unterschiedlicher Länge aufgeteilt sind: I. Vaguedás (20 kurze bis sehr kurze Kompositionen); II. ¡Do íntimo! (36 Kompositionen unterschiedlicher Länge); III. Varia (mit 41 Kompositionen die längste der fünf Abteilungen); IV. Da terra (neun längere Kompositionen, diese Abteilung ist quantitativ ca. doppelt so lang wie die erste); V. As viúdas dos vivos e as viúdas dos mortos (diese letzte Abteilung entspricht in der Länge ungefähr der zweiten und besteht aus 31 Kompositionen).

Bei den Vers- und Strophenformen, die in FN auftreten, werden vor allem die innovativen metrischen Neuheiten in den Verwendungen und der Kombination der Verse hervorgehoben. Die Vers- und Strophenformen in FN lassen sich in drei metrische Kategorien einteilen: „[A] romántica, caracterizada pola polimetría e pola variedade de combinacións de versos [...], a popular, que se detecta na súa evidente preferencia pola asonancia [...] e [...] (a) experimentación persoal de novas formulas métricas."

Der Alexandriner kommt in III, VI; IV, I; IV, VIII und, kombiniert mit dem deca- und hexasílabo, in II, I vor. Hexasílabo und decasílabo findet man in III, XLI. Wie in CG so ist auch in FN der traditionelle octosílabo die dominierende Versform. In II, X und II, XI wird er mit dem Alexandriner, in IV, IX und V, II mit dem decasílabo, in I, IV mit dem deca- und dodecasílabo, in I, X und II, XIV mit dem endecasílabo, in III, IX und II, XIV mit dem hepta- und endecasílabo verbunden (1. Teil: 4-zeilige Strophe aus assonierend gereimten 7- und 11-Silbern; 2. Teil: 10-zeilige Strophe mit alternierenden, assonierend gereimten 10- und 8-Silbern). Als assonierend gereimte Versformen kommen der decasílabo in II, V und II, XXVIII und der dodecasílabo in II, XXV vor. Seltenere Strophenformen, die Castro verwendet, sind z.B. die quintilla (III, XXXIV), Varianten der octavilla (V, XXII; II, XXI), die culta (III, XXXVII) sowie konsonantisch gereimte cuartetos (III, V); besonders hervorzuheben sind die Varianten der silva (hepta- und endecasílabos): in IV, VI; II, XII; II, XXVII; in II, XV kommt ist sie konsonantisch gereimt, in II, XXII und in III, XLI mit 4 unterschiedlichen Strophenlängen als silva arromanzada (hexa- und endecasílabos) vor. Anklänge an die silva können auch in V, XXX (V. 30-35) gefunden werden. Bedeutsam ist vor allem, daß die silva seit Góngora thematisch besonders mit der poesía de la soledad verbunden wird.

Strukturell und thematisch wird von der Kritik besonders der heterogene Charakter der Gedichtsammlung diskutiert. Dieser erklärt sich aus den Begleitumständen der Publikation, die unter Zeitdruck („de présa e correndo, ordenalos", S. 109) und unter dem psychischem Druck des sich Verpflichtet-Fühlens (s.o.) stattgefunden haben muß. Solche Hinweise lassen den Schluß zu, daß Castro die Abeit an FN bereits aufgegeben hat. Die konstatierte Heterogenität führen Henrique Monteagudo und Dolores Vilavedra dazu, FN ein Fehlen der „solidez estructural" zu unterstellen. Allein die Einteilung in fünf, unterschiedlich betitelte Sektionen sprechen aber gegen diese Behauptung: Ihr unterliegt einerseits ein symbolischer Charakter, da sie auf die Einteilung des Alten Testaments in fünf Bücher anspielt und andererseits wird beim Leser die Vorstellung von Themengruppen evoziert.

Angel López unterscheidet zwischen zwei sich im Text der FN hauptsächlich manifestierenden Kodes: „código lírico" und „código étnico". Die serielle Abfolge der fünf Sektionen bilde dabei zwar kein „sistema semánticamente coherente", dennoch können „tres campos semánticos" ausgemacht werden: das „subjetivo o lírico" in I. Vaguedás und II. ¡Do íntimo!, das „geográtifo-étnico" in IV. und das „sociológico-étnico" in V. Die Sektion III. Varia konstituiere sich aus „unidades que no caben en las otras." Auch Ana Bungård macht drei thematische Schwerpunkte in den fünf Sektionen der Sammlung aus: „lírico [...], filosófico-metafísico [...], y mítico-mágico." In der Abteilung I. Vaguedás dominiere hauptsächlich das Thema lírico, in II. ¡Do íntimo! das Thema filosófico-metafísico und in den drei verbleibenden Sektionen das Thema mítico-mágico.

Zwischen den Themengruppen der einzelnen Sektionen bestehen nun isotopische Vor- und Rückverweise, die die konstatierte Heteregonität als nur oberflächlich erweisen und die Komplexität der FN ausmachen. Castro behandelt die Themen: Frau als Schriftstellerin, Frau als Arbeiterin, Liebe, Religion, Tod, Selbstmord (I, XV; I, XVIII), Ehebruch (II, XV; IV, VI; V, XXIII) und vor allen Dingen die Emigration. Davies stellt auch für FN ein Rekurrieren auf das Motivarsenal der poesia tradicional fest. Sie nennt für FN nun die Motive und Symbole, die sie in CG nicht sieht (bzw. nicht sehen will): „fonte", „mes de maio", „romaría", „despedida do fogar", „moza que dialoga coa naturaleza" u. a.

Castro verarbeitet in FN auch das für den galaico-portugiesischen Kulturkreis typische Motiv der saudade oder soidade. Die aufgezählten Motive werden auch mit dem Thema der Emigration verbunden.

Ein weiterer Themenkreis bildet die Behandlung des Angst- und Glücksgefühls: die Angst vor dem Glück (Polikrates-Komplex), die absolute, unerklärliche (Seelen-)Angst (=existentialistische Angst) und das Glücksgefühl der Anderen, das eine Person (=Ich) betrübt.

Die Diskussion um die Hetero- oder Homogenität der FN zeigt, daß sich das Werk dem literaturwissenschaftlichen Ordnungssinn entzieht. Die unauflösbaren Widersprüche werden besonders von einer ideologisch nationalistisch orientierten Literaturwissenschaft verschwiegen oder nivelliert.

 

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3. Das artikulierte Ich: Metamorphosen des Ich

Das artikulierte Ich aus FN bewegt sich durch verschiedene Themenbereiche und macht verschiedene Verwandlungen durch. In I. Vaguedás herrscht die absolute Dominanz des artikulierten Ich, das hier kaum vom Textsubjekt zu unterscheiden ist. Es scheint, als ob Castro selbst spräche und eine Bilanz ihrer bisherigen Lebenserfahrungen zöge. In II. ¡Do íntimo! tritt der autoreferentielle Charakter des auktorialen Ich merklich zurück. Das artikulierte Ich entwickelt eine affirmative Haltung gegenüber der soidade als unumgängliche Erfahrung für den Schaffensprozeß und als Ausdruck der Fatalität des Lebens selbst. Das Ich ist als Quelle der (Selbst-)Erkenntnis vorgestellt. Die heterogenste Sektion ist III. Varia. Das artikulierte Ich wird in verschiedenen Perspektiven präsentiert, und es wird so versucht, eine Vision globaler Realität zu konzipieren. In IV. Da terra und V. As viúdas dos vivos e as viúdas dos mortos kann von einer Osmose zwischen artikuliertem Ich, Textsubjekt und den gesellschaftlichen Realitäten gesprochen werden. Castro setzt sich bei der Thematisierung des Redegegenstandes Galicien in V vornehmlich mit der Frauenfrage auseinander.

Die Metamorphose läßt sich auch als eine Entwicklung von einem subjektiven, existentialistischen Ich hin zu einem Ich in Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Realitäten beschreiben. Castro sucht dabei verschiedene Fluchtpunkte, um das artikulierte Ich darzustellen: in I das Ich und das Schreiben, in II das Ich und die Person, in III das Ich und die Gesellschaft, in IV das Ich und die Region, und in V das Ich und die Emigration. Der letzte der anvisierten Fluchtpunkte realisiert die tatsächliche bzw. fiktive Flucht des Ich aus der Heimat und, da strukturell an das Ende der Gedichtsammlung gestellt, aus dem poetischen Raum: Resignation in der Emigration für ein Ich, das aufgrund der sozioökonomischen, soziopsychologischen, intellektuellen, politischen, ambivalenten moralideologischen, biographischen u.a. Gründen in Konflikt mit der Heimat und damit dem sozialen und literarischen poetischen Raum des Galegischen steht.

Diese Wandlung des Ich von der Innerlichkeit zur Emigration wird aber durch die Figurwerdung des auch auf Castro verweisenden Namens Rosa konterkariert. In I, XVII steht die Rose des artikulierten Ich metaphorisch/symbolisch für dessen Herz, und das Herz bedeutet Gefühl. Die Blütenblätter der Rose stehen für die Schmerzen des artikulierten Ich (VV. 1-5). Gefühl und Schmerzen scheinen untrennbar mit dem artikulierten Ich verbunden zu sein: „¡O corazón m' arrincas/ desqu' as arrincares todas!" (VV. 9-10). In der zweiten und dritten Abteilung wird häufig auf die Rosensymbolik rekurriert, sie steht aber nicht in direktem Zusammenhang mit der Figur der Rosa. Zweimal klingt in den letzten beiden Sektionen der FN das Motiv der Metamorphose im Zusammenhang mit der Rose an und zwar in IV, VI: „Nunca eu fora nin rica nin dichosa,/ ó ver que para selo/ só me faltaba o gordo dun cabelo,/ de seca espiña me tornara en rosa" (VV. 15-18) und in V, XV: „O meu olido máis puro/ dérache s' eu fora rosa,/ o meu marmurio máis brando/ s' é que do mar fora onda./ O bico máis amoroso/ se fose rajo da aurora" (VV. 1-6). Bereits kurz vor der zweiten Anspielung auf den Willen zur Metamorphose wird in V, XIII die Rückkehr der Figur Rosa in die poetische Welt beschrieben: „-¿Xa estás de volta, Rosa d' Anido?/ ¡Eu non coidara verte tan cedo!/ I as meigas todas contigo, Rosa,/ aló na vila seica andiveron,/ que de difunto tes a colore/ a vista brava, i o falar seco" (VV. 1-7). Die Figur der Rosa ist hier eine vom Tode gezeichnete, furiengleiche Figur, die den Beinamen „kindlich" bzw. „kindisch" trägt. In V, XXVIII sucht die todgeweihte Figur („soidás morríase", V. 1) ihr Heil in der Emigration als verzweifelte Flucht und in der Hoffnung auf ein anderes Leben: „¡E íñase a présa e sin remedio!... ¡íñase/ coa tristeza mortal que a consumía!/ íñase a probe Rosa, pero... ¡par' a outra vida!" (VV. 21-24). Die Figur der Rosa, die über ihren Namen eine enge Affinität zur Autorin Rosalía de Castro herstellt, tritt erst am Ende der Gedichtsammlung deutlich hervor. Die Funktion der Figur scheint zu sein, die nach dem langen Prozeß der Figurwerdung beschriebene Flucht als Verzweifelung vor der Unmöglichkeit des Lebens im beschriebenen (patriarchal dominierten) realen und fiktiven Raum zu unterstreichen.

Francisco Salinas Portugal stellt „a presença dos eu femininos como sujeitos da maioria dos poemas; ou personagens femininas como elementos protagonistas ou importantes de moitas das "historias" que son poetizadas" fest und konstatiert, daß „[h]ai, pois, uma afirmaçom do eu feminino". Besondere Beachtung ist folglich den vom Normalfall abweichenden Kompositionen zu schenken. Außer in V, XXVIII wird die Figur der Rosa in allen anderen Kompositionen, in denen sie auftaucht (V, XIII; V, XXIII und V, XXIX), immer von einem männlich markierten, artikulierten Ich angesprochen. Die Figur der Rosa selbst kommt nicht mehr, wie noch in den CG, zu Wort. Die Dominanz des „sujeto lírico femenino" wird an entscheidenden Stellen aufgehoben. Das dominierende Thema der genannten Kompositionen ist immer die sexuelle Untreue des Mannes gegenüber der Frau. Daß Castro gerade bei der Behandlung des Themas der männlichen sexuellen Untreue das artikulierte Ich männlich markiert, könnte nicht nur als bewußte Reaktion auf eigene und/oder beobachtete Lebenserfahrung, sondern auch als bewußte Reaktion auf den Zensurmechanismen des patriarchal dominierten Kulturbetrieb gewertet werden.

 

 

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4. Interdependenzen zum Diskurs der Nation

Daß Castro den konservativen Republikaner Emilio Castelar das Vorwort zu ihrem Werk verfassen läßt, zeigt ihre politische Opposition gegen ihren antirepublikanisch gesinnten Ehemann Murguía. Castro stützt sich mit der Wahl Castelars als Prologist nicht nur auf eine männliche Autorität, um sich gegen etwaige Angriffe aus dem männlichen Lager der Galegistisen zu schützen, sondern sie provoziert gleichzeitig die Diskursträger des nationalistisch orientierten Armes des Rexurdimento und grenzt sich gegen diese ab. Castelar referiert den Mythos des spanischen Nationalstaates, der aus der Reconquista hervorgegangen sein soll: „[L]a Reconquista se inicia, y el habla española balbuce sus primeras palabras, y el grito de ¡Dios y libertad! resuena, [...], y el astur y el galaico hacen retroceder al árabe [...]". Das ist zwar eine historisch unhaltbare These, unterstreicht aber die propagierte Hispanität: daß nämlich die Keimzelle des spanischen Nationalstaates in Galicien und Asturien liegt und daß sich der spanische Staat aus kulturell verschiedenen Regionen zusammensetzt: „las regiones que componen el territorio de nuestra España". Diese Konzeption der spanischen Nation als ein heterogenes Gebilde verläuft der Konzeption Murguías (und der zeitgenössischen Nationalisten) der Nation Galicien als gerade unterschiedlich zu den anderen spanischen Regionen diametral entgegen.

In der Gedichtsammlung selbst sind Interdependenzen zum Diskurs der Nation durch die Behandlung der Themen Emigration und Galicien gegeben. Castro setzt dabei zwei Schwerpunkte: erstens die Emigration nach Kuba, was in Zusammenhang mit ihren persönlichen Beziehungen zu den bereits genannten galicischen Emigrantenorganisationen in Havanna stehen kann; und zweitens die Situation der Frau.

Die Art der Behandlung des Redegegenstandes Galicien kann als ein Dekonstruieren von Gegensätzen beschrieben werden. Die von mir konsultierte Literatur hebt diesen wichtigen Aspekt nicht deutlich genug hervor. In der Sektion IV., die ausdrücklich von Galicien handelt, wird die Umkehr von Vaterlandsliebe in Vaterlandshaß beschrieben:

Ódiote, campo fresco,
cos teus verdes valados,
cos teus altos loureiros
os teus camiños brancos
sembrados de violetas,
cubertos de emparrados.
Ódiovos, montes soaves
que o sol poniente aluma,
qu' en noites máis sereas
vin ó fulgor da lúa,
ond' en mellores días
vaguei polas alturas.
E ti tamén, pequeno
río, cal n' outro hermoso,
tamén aborrecido
es antr' os meus recordos...
¡Porque vos amei tanto,
é porque así vos odio!
(IV, VIII. VV. 61-78).

Die Landschaft erinnert das artikulierte Ich an vergangene, bessere Zeiten. Die Komplexität von Castros Lyrik würde allerdings verkürzt, wollte man die erwähnte, überaus große Liebe auf die Zeit der CG beziehen und den starken Haß auf die Zeit nach FN, und zwar als Reaktion gegenüber den neuen Diskursträgern. Einer nationalistisch orientierten Literaturgeschichte kommt solch eine Interpretation natürlich entgegen. Die Zwischentöne in FN werden dabei allerdings überhört, denn es wird auch dort weiterhin Vaterlandsliebe zu Galicien manifestiert: so z.B. in der Sektion V., die das Thema Frau und Emigration behandelt. In V, III heißt es:

    O forno está sin pan, o lar sin leña,
    non canta o grilo alí,
    e se non é coa pena que o consome,
    o probe soio está co seu sofrir.
    Sin que comer e sin abrigo tremba,
    por que os ventos sutils
    húmedos inda, silban antr' as pedras
    as portas fan xemir.
    ¿Que ha de facer, Señor, s' o desamparo
    ten ó redor de si?
    ¿Deixar a terra en que naceu i a casa
    en qu' espera ter fin?
    ¡Non, non! que o inverno xa pasou i a hermosa
    primadera vai vir.
    ¡Xa os árbores abrochan na horta súa!
    ¡Xa chega o mes d' abril!
    I anque a torrentes chove en horas tristes,
    en outras o sol ri,
    xa a terra pode traballarse, a fame
    dos probes vai fuxir!
    ¡Ai! o qu' en ti naceu, Galicia hermosa,
    quere morrer en ti.
    (VV. 24-45).

Trotz der wirtschaftlichen Misere sucht das artikulierte Ich hier nicht einen Ausweg in der Emigration, sondern bleibt in seiner Heimat, weil es sterben will, wo es geboren wurde. Abgesehen davon, daß hier der Bezug zur empirischen Autorin sinnfällig ist, sei zusätzlich daran erinnert, daß der Bezug zur empirischen Autorin in der letzten Sektion durch die Verwendung des Namens Rosa hervorgehoben wird.

Die Galicien betreffende Sektion wird mit einer Komposition eingeleitet, die das Schweigen über den Redegegenstand Galicien thematisiert:

    ¡Calade!
    Hai nas ribeiras verdes, hai nas risoñas praias
    e nos penedos ásperos do noso inmenso mar,
    fadas d' estraño nome, d' encantos non sabidos.
    que só con nós comparten seu prácido folgar.
    Hai antr' a sombra amante das nosas carballeiras
    e das curtiñas frescas no vívid' esprendor,
    e no romor das fontes, espritos cariñosos
    que só ós qu' aquí naceron lles dan falas d' amor.
    (IV, I. VV. 1-9).

Wie in CG wird die Schönheit Galiciens hervorgehoben; nun wird aber nicht mehr um Verständnis und Dignifikation geworben, sondern als Tatsache festgestellt, daß die Schönheit der Heimat nur von den Einheimischen verstanden werden könne.

Ein weiterer wichtiger Unterschied zu den Kompositionen der CG ist der Aufbau der Opposition von vós vs. nós, die charakteristisch für nationale Lyrik ist und die in den CG völlig fehlt: „Vós, pois, os que naceches na orela doutros mares,/ [...]/ calá, se n' entendedes encantos destos lares,/ cal, n' entendend' os vosos, tamén calamos nós" (IV, I. V. 14-18). Castro entwickelt mit „nós" eine Identifikation des artikulierten Ich mit der Gemeinschaft der Galicier, denen sie alle Nicht-Galicier, „vós", gegenüberstellt. Das artikulierte Ich forderte die Anderen auf, sich nicht weiter über Galicien zu äußern. Hier wird das Beleidigungssyndrom verarbeitet. Die Verwendung des Plural wirft einige Fragen auf: Versteht sich Castro als Stimme ihrer Region, von der sie doch in den 1870er Jahren fast ganz vergessen wurde? Ist es Castros Reaktion auf Anfeindungen, die die Art ihrer Darstellung der anderen Regionen Spaniens in CG hervorriefen? Ist es eine lyrische Wiederholung des Vorsatzes, nicht mehr auf galegisch schreiben zu wollen? Die Unmöglichkeit des gegenseitigen Verstehens des jeweilig Anderen impliziert zumindest die Möglichkeit, das Schweigen als Offenlegung der Widersinnigkeit der Konzeption von Nation zu verstehen, da die erwähnten landschaftlichen Schönheiten und charakteristischen Gefühle immer relativ sind.

 

 

 

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5. Interdependenzen zum Diskurs der Frauenfrage

In ihrem Vorwort „Dúas palabras da autora" nimmt Castro Themen aus dem Diskurs der Frauenfrage auf. Auf das Entschuldigungssyndrom reagiert sie mit der Bemerkung, daß sie in FN mit „demasiada sinceridade" (S. 110) spricht. Sie bittet die Leser, ihr Buch zu akzeptieren: „Alá van en busca, non de triunfos, senón de perdós; non de alabanzas, senón d' olvidos; non das predilecciós doutros tempos, senón da beninidade que di dos maos libros: ¡Deixalos pasar! Ei o qu' eu deseio: que o deixen pasar, como un romor máis, [...]" (S. 114).

Auch thematisiert sie Marginalisierung und literarisches Talent der Frau: „No aire andan dabondo as cousas graves, é certo; fácil é conocelas, e hastra falar delas; mais son muller, e ás mulleres, apenas s' á propia femenina fraqueza, lle é permitido adiviñalas, sentilas pasar" (S. 110) Was Castro mit „cousas graves" meint, sagt sie nicht. Sie konstatiert, daß es der schreibenden Frau nicht erlaubt sei, über diese Dinge zu sprechen. Die Situation für die Schriftstellerin hat sich seit La hija del mar allem Anschein nach nicht wesentlich verändert. Daß sie die Annahme des fehlenden literarischen Talents der Frau affirmiert, könnte ironisch gemeint sein: „Nós somos harpa de soio dúas cordas, a imaxinación i o sentimento;" (S. 110). Die Thematisierung von Marginalisierung und literarischem Talent bekommt bei Castro eine viel existentiellere Bedeutung angesichts der Frage nach dem Warum des Schreibens:

    Ben sei que non hai nada
    novo embaixo do ceo,
    qu'antes outros pensaron
    as cousas qu'ora eu penso.
    E ben ¿para que escribo?
    E ben, porque así semos:
    relox que repetimos
    eternamente o mesmo.
    (I, II. V. 1-8).

Das anscheinend ewige Wiederholen ein und derselben Themen führt Castro schließlich dazu, eine Verbindung zwischen Literatur und Leben herzustellen, was für eine Frau des 19. Jahrhunderts zu unauflösbaren Konflikten führt. In der letzten Komposition fusioniert Castro diese Spannungen:

    ¡SILENCIO!
    A man nerviosa e palpitante o seo,
    as niebras nos meus ollos condensadas,
    con un mundo de dudas nos sentidos
    i un mundo de tormentos nas entrañas,
    sentindo como loitan
    en sin igual batalla
    inmortales deseios que atormentan
    e rencores que matan.
    Mollo na propia sangre a dura pruma
    rompendo a vena inchada,
    escribo, escribo ¿para que?
    [...]
    (I, XX. V.1-12).

Das Schreiben mit dem eigenen Blut ist eine ebenso schockierende wie expressive Metapher für den Konflikt zwischen Frau-Sein einerseits und andererseits der Realisierung ihres Lebenswunsches, in der patriarchalen Gesellschaft ohne Zwänge schreiben zu können. Als einzigen Ausweg sieht das artikulierte Ich hier nur die Unterdrückung des Lebenswunsches im Schweigen: „¡Volvede/ ó máis fondo da i-alma,/ tempestosas imaxes!/ ¡Ide a morar cas mortas relembranzas!" (I, XX. V.12-15).

Bei ihren Ausführungen über die fehlende Intellektualität der Frau („O pensamento da muller é lixeiro", S. 110) bzw. der dieser gegenüber gestellten 'profunden Intellektualität' des Mannes, wird Castros Ironie evident: Die Frau könne sich nur unbewußt („sin sabelo", S. 111) an die „duro traballo da meditación" (S. 111) machen. Der Mann sei im Gegensatz dazu durch „estudio e reflexión" (S. 111) befähigt, hinter die Dinge zu schauen und den „limo insustancial das vulgaridades" (S. 111) zu entdecken. Castro meint hier tatsächlich das Gegenteil von dem, was sie schreibt, da sie sich sehr wohl bewußt darüber ist, daß FN Elemente enthält, die von der überwiegend männlichen Leserschaft als anstößig empfunden werden könnten: So war die Themenwahl von Selbstmord und Ehebruch für eine Frau nicht adäquat. Das Konzept des ángel del hogar wird im Vorwort nicht direkt angesprochen, vielmehr erfährt es eine Umschreibung in der „eterno panal [...] alá no íntimo", wo die Frau arbeite und wo „solasmente se dá mel, [...] mel sempre e nada máis que mel."(S. 110)

Die Stellung von Frau und Literatur in der patriarchalen Gesellschaft thematisiert Castro besonders in der ersten Sektion von FN. Gleich mit der ersten Komposition stellt sie die Frage: „Daquelas que cantan as pombas i as frores,/ todos din que teñen alma de muller;/ pois eu que n'as canto, Virxe da Paloma,/ ¡ai! ¿de que a terei?" (I, I. V. 1-4) Die Frau, die die sozioliterarischen Spielregeln nicht befolgt, ist seelenlos und somit mit einer Ketzerin gleichzusetzen (hier klingt das Bild Luzbels nach). Denn die Frau, die sich im Literaturbetrieb nicht regelgerecht verhält, setzt ihre weibliche Tugend aufs Spiel.

Castro geht in der letzten Sektion der FN über die konventionelle Behandlung der Frauenfrage hinaus, indem sie die sexuelle Untreue der Männer thematisiert. In einem Dialog zwischen zwei männlichen artikulierten Ichs wird der Ehebruch während der Emigration diskutiert. Dabei wird eine typische Geschichte entwickelt, die das Schicksal tausender in Galicien verbleibender Emigrantenfrauen beschreibt:

    -Eu volvo par' a terra,
    á túa muller Antona, ¿que lle digo?
    -Pois pra non meter guerra,
    porque non veñan a petar conmigo,
    olvidarás que foches meu testigo.
    [...]
    Quen non sabe nin ve... sempre perdona.
    Cando xa vello sea,
    tomarei cos meus ósos para a aldea,
    que algo ll' hei de levar á terra nosa;
    mais mentras mozo son, non pode sere,
    porque s' é por mullere,
    s' é que Antona está alá, teño aquí a Rosa.
    -Esa ch' é a nai do año,
    [...]
    -Á cróbega a cabeza se ll' esmaga,
    e coa súa vida paga,
    mais d' Antona a pacencia
    ¿con que lle paga, dime, a túa concencia?
    ¿Que cura do seu dor a fonda haga?
    -Déixate de concencias e delores,
    que non teñen lugare
    tratando de mulleres e d' amores;
    qu' ela vexa, se quer, de se curare;
    e cóntalle que cando eu o tivere,
    xa lle darei con que se precurare.
    I agora, ¡adiós! ¡hastra que Dios quixere!
    (V. XXIII. V. 1-48).

Obwohl der heimkehrende Emigrant den ehebrechenden Landsmann zu überzeugen versucht, daß der Ehebruch, die sexuelle Untreue, auch Unrecht sei, geht der Ehebrecher auf die Einwände nicht ein. Die Diskussion bleibt unaufgelöst, da der Ehebrecher den Abschied erzwingt.

Im Dialog eines männlich markierten artikulierten Ich mit einem weiblich markierten Du, der Figur der Rosa, gesteht das artikulierte Ich seine voreheliche sexuelle Untreue, indem er ihr von seinen sexuellen Abenteuer berichtet:

    I ademais, Rosa, direicho todo
    pra que non volvas a pensar nesto:
    bebín con outras naquela fonte,
    pousei con outras naquel portelo,
    ¡ai, e con tantas á luz da lúa
    no mes d' agosto tomei o fresco!...
    Dime, meniña, s' un home pode
    cargar con tantos recordos destos,
    e si non debe botalos fóra
    porque n' estorben no pensamento.
    (V, XIII. V. 28-37).

Um die Vergänglichkeit der Liebe zu beschreiben, rekurriert Castro auf das Motiv der Liebeskrankheit, wenn sie z.B. das Ende der Liebe nach Erfüllung des sexuellen Wunsches und das Verlassen der Geliebten beschreibt:

    Quixente un día, quixente, Rosa;
    mais di unha copra que o amor i o vento,
    desque fixeron o seu facido,
    vanse, rapaza, como viñeron.
    ¡E que lle vamos a facer, Rosa,
    s' aquestas cousas non tén remedio!
    Adiós, prá Habana domingo embarco,
    i anqu' ora chores, non teñas medo,
    que mal d' amores n' é mal de morte,
    i ó fin i ó cabo pasa co tempo.
    (V, XIII. V. 38-47).

Daß Zusammendenken von Liebe und Tod führt das artikulierte Ich zu der Negierung: „mal d' amores n' é mal de morte". Hier schwingt die Vorstellung mit, daß das Leben nur die Krankeit zum Tode ist.

Daß das artikulierte Ich in den zitierten Kompositionen die Situation vornehmlich aus der männlichen Perspektive beschreibt, ist als Maskierung der sexuellen Identität der Autorin zu verstehen. Daß ihre Vorsichtsmaßnahme den Erwartungen der Leser entspricht und somit wirkungsvoll gewesen ist, wird dadurch belegt, daß die männlich dominierte Rezeption die eigentlich schamlose Darstellung der männlichen sexuellen Unmoral kritiklos aufnahm und anscheinend toleriert. Als Castro das Thema der sexuellen Beziehungen aus einer anderen Perspektive beschreibt, kommt es allerdings zum Skandal.

 

 

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Exkurs 1: Der Skandal um Costumbres gallegas (1881): Endgültige Abkehr vom Galegischen

Schon im Vorwort zu FN deutet Castro an, daß sie nicht mehr auf galegisch schreiben werde, da sie mit ihrer zweiten Veröffentlichung auf galegisch ihre Pflicht gegenüber den galicischen Enthusiasten (Galegisten?) erfüllt sieht: „O que quixen foi falar unha vez máis das cousas da nosa terra na nosa léngoa, e pagar en certo modo o aprecio e cariño que os Cantares gallegos despertaron en algúns entusiastas.[...], difícil é que volva a escribir máis versos na lengua materna." (S. 113-114). Trotz des erneuten Erfolges ihrer letzten Publikation auf galegisch wendet sich Castro wieder dem Kastilischen zu, ohne aber die Angelegenheiten ihrer Heimat zu vernachlässigen, denn, wie sie ebenfalls im Vorwort zu FN schreibt: „[M]enos pode o poeta prescindir do medio en que vive e da natureza que o rodea, ser alleo a seu tempo e deixar de reproducir, hastra sin pensalo" (S. 112). Im Februar 1881 beendet sie die Arbeit an ihrem letzten Roman El primer loco und an der noch vor seiner Veröffentlichung erscheinenden Artikelserien zur sozioökonomischen und soziokulturellen Situation in Galicien. Im Frühjahr 1881 veröffentlicht Castro in La Ilustración Gallega y Asturiana „Padrón y las inundaciones", ein Essay (in drei Fortsetzungen), der u.a. auf die ökologischen Auswirkungen der Abholzung der Kiefernwälder in Galicien anspielt. Holz wird als Rohstoff von der andalusischen, baskischen und katalanischen Papier- und Stahlindustrie benötigt. Die Desamortisation unter dem linksliberalen Minister Pascual Mandoz erleichtert seit 1855 den Holzabbau in ganz Nordspanien. In Los Lunes del Imparcial, der Montagsausgabe der Zeitschrift El Imparcial aus Madrid, kommt dann am 28. März und am 4. April 1881 der zweiteilige Artikel „Costumbres gallegas" heraus.

Castro kritisiert die Konventionen und Verhaltensnormen der Bourgeoisie, indem sie diese idealisierend mit den einfachen, aber nicht utilitaristischen Verhaltensweisen der nicht kapitalistischen Berg- und Küstenbevölkerung Galiciens kontrastiert:

    Por eso, los que poseen tales madres, tales esposas y tales hijas, se sienten siempre inclinados a la benevolencia heredada de los suyos, y a tomar las cosas de la vida, no como acaso quisiéramos que fuesen, sino como realmente son. No existe entre ellos rigidez de costumbres y severidad de principios, ni se espantan y escandalizan en presencia de las faltas ajenas, [...]. Son dados, por el contrario, a disculpar las ajenas culpas, a dolerse de las desgracias de sus semejantes, [...].

In diesem Artikel beschreibt sie nun auch die Sitte des unentgeltlichen Beischlafs (auch als „prostitución hospitalaria" bezeichnet), der in einigen Orten der galicischen Küste, ankommenden fremden Seemännern angeboten würde, die sehr lang auf See gewesen seien:

    Entre algunas gentes tiénese allí por obra caritativa y meritoria el que, si algún marino que permaneció por largo tiempo sin tocar a tierra, llega a desembarcar en un paraje donde toda mujer es honrada, la esposa, hija o hermana pertenecientes a la familia en cuya casa el forastero haya de encontrar albergue, le permita por espacio de una noche ocupar un lugar en su mismo lecho. El marino puede alejarse después sin creerse en nada ligado a la que, cumpliendo a su manera un acto humanitario, se sacrificó hasta tal extremo por llevar a cabo los deberes de la hospitalidad.

Diese wenigen Zeilen ziehen eine Protestwelle der regionalen Presse nach sich, die allerdings nur äußerst fragmentarisch überliefert ist. Die unsachliche, beleidigende Hetzkampagne wurde von den Zeitungen El Anunciador und La Concordia, beide aus Vigo, angeführt. Die Artikel des El Anunciador sind, will man Naya Pérez Glauben schenken, verlorengegangen. Ein Fragment aus La Concordia ist allerdings erhalten geblieben:

    [...] pero jamás pudiéramos imaginar que una mujer ilustrada, y por apéndice gallega, fuera capaz de intentar el extravío de la opinión públicas haciendo relación de hechos que no son particulares ni a nuestras costumbres ni la época en que vivimos [...].

Es ist bemerkenswert, daß weder die in CG kritisierte sexuelle Doppelmoral des Bürgertums, noch die damit eng in Zusammenhang stehende Thematisierung der männlichen sexuellen Untreue in FN einen solchen Sturm der Entrüstung der patriarchalen galicischen Presse und Literaturkritik provoziert und in derart persönliche Attacken gegen Castro mündet, wie die Beschreibung des galicischen Küstenvolks in „Costumbres Gallegas". Gründe für die Akzeptanz der besagten Kompositionen aus des CG und FN können der fiktive Charakter von Lyrik und die männlichen Markierungen des artikulierten Ich sein. Darüber, warum Castro in „Costumbres gallegas" keine der an den hier analysierten Texten aufgezeigten Vorsichtsmaßnahmen getroffen hat, um Skandale zu vermeiden oder die Publikation überhaupt zu ermöglichen, kann nur spekuliert werden.

Der erneute Konflikt mit der galicischen Öffentlichkeit ist der Grund dafür, daß sich Castro endgültig dazu entschließt, nicht mehr auf galegisch zu schreiben. Im Brief vom 26. Juli 1881 lehnt sie Murguías dringliches Bitten, daß sie wieder etwas auf galegisch veröffentlichen möge, mit folgenden Worten ab:

    [...] me extraña que insistas todavía en que escriba un nuevo tomo de versos en dialecto gallego. No siendo porque lo apurado de las circunstancias me obligaran imperiosamente a ello, dado caso que el editor aceptase las condiciones que te dije, ni por tres, ni por seis, ni por nueve mil reales volveré a escribir nada en nuestro dialecto, ni acaso tampoco a ocuparme de nada que a nuestro país concierna. Con lo cual no perderá nada, pero yo perderé mucho menos todavía.
    [...]
    Hazle, pues, presente al editor que, pese a la mala opinión de que al presente gozo, ha tenido a bien acordarse de mí, lo cual le agradezco, mi resolución de no volver a coger la pluma para nada que pertenezca a este país, ni menos escribir en gallego, de una vez que a el no le conviene aceptar las condiciones que le he propuesto. No quiero volver a escandalizar a mis paisanos.

Beachtet man den Hinweis auf das wiederholte Bitten Murguías, daß Castro doch auf galegisch schreiben möge und fügt dem das Faktum hinzu, daß die CG nur auf Betreiben Murguías und erst ohne Einverständnis von Castro in Druck gegeben wurden, und bedenkt schließlich noch Castros Worte aus dem Prolog zu FN, wo sie ebenfalls vom Zwang zur Veröffentlichung des Buches spricht, so kann man zu dem Schluß gelangen, daß Murguía, dessen nationalistische Ideologie in Opposition zu Castros Auffassungen, wie Galicien zu Ansehen gelangen könnte, gestanden haben müssen, die treibende Kraft gewesen sein muß, die Castros literarische Fähigkeiten für seine politischen Zwecke hat dienstbar machen wollen. Die zu vermutenden Ehezwistigkeiten fügen sich nahtlos in das Bild einer gesinnungspolitisch gegensätzlichen und nicht mehr friedlichen Koexistenz.

 

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Exkurs 2: Die Erfindung des Mythos Rosalía de Castro: Ein Symbol der Galicischen Nation

Sechs Jahre nach dem Tod Castros wird ihr Leichnam exhumiert und von Padrón nach Santiago de Compostela überführt. Um die Überführung kommt es zu heftigen Polemiken verschiedenster Ideologen um das Ansehen der Toten. Erzbischof Santiagos bannt Casros Heterodoxität, Castros katholische Freunde stellen ihre katholische Orthodoxidität heraus. Die Regionalisten um Alfredo Brañas reklamieren ihren Anspruch auf die verstorbene Dichterin als ihr Nationalsymbol. Murguía versucht die Überführung zu verhindern und steht eher auf der Seite des Cenrto Gallego de la Habana, das ein Denkmal in Padrón errichten, die letzte Wohnstätte der Autorin, La Matanza, und ihr Grab wieder herrichten will, um eine Gedenkstätte zu gründen.

Murguía war mit der Inbesitznahme durch dem Flügel der galicischen Nationalisten um Alfredo Brañas nicht einverstanden. Damit den nachfolgenden Generationen ein Bild Rosalía de Castros tradiert wird, das nach Murguías Sinn steht, verwischt er Spuren und legt neue, so daß die kontroverse ideologische Diskussion über die Schriftstellerin, trotz Versuche wissenschaftlicher Aufarbeitung, bis heute anhält. Er vernichtet alle Briefe, die er von Castro besessen hat und manipuliert außer durch Textkorrekturen auch durch seine schriftstellerische Tätigkeit das Bild der Autorin. Im Vorwort, das der zweiten Ausgabe von En las orillas del Sar vorangestellt ist, schreibt er Castro z.B. als ángel de hogar fest: „Sus hijos fueron para su corazón un supremo consuelo, [...] nada la halagaba sino la paz de su casa." Bezüglich des Mythos einer für die Freiheit der Galicischen Nation kämpfenden Castro behauptet Murguía 1889: „[...], salieron, en 1863 los Cantares Gallegos, libro que se consideró entonces como un verdadero grito de guerra de estas provincias subyugadas."

Die Manipulationen, die Castros Texte vor allem seitens Murguía schon zu Lebzeiten erleiden (patriarchal-nationalisch motivierten Veröffentlichungspraxis), scheinen die Autorin in ihrer Todesstunde dazu bewogen zu haben, ihre älteste Tochter Alejandra zu beauftragen, die unveröffentlicht gebliebenen Schriften zu verbrennen.

 

 
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